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Gefährdungsbeurteilung – top aktuell – in der tierärztlichen Praxis

01.03.2018 / Dr. Hans-Friedrich Willimzik

 

Manche Dinge wiederholen sich im Leben. Mit der GfB ist es wie mit den Stadttauben. Entweder werden sie geliebt, oder sie werden gehasst. Bei der Gefährdungsbeurteilung gibt es allerdings auch noch eine Reihe von Praxisinhabern, die mit dem Begriff "GfB" nicht so richtig viel anzufangen wissen.

Dabei gibt es die GfB seit 22 Jahren, seit dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) im August 1996. Dieses Gesetz schreibt in § 5 Abs. 1 vor, dass der Arbeitgeber für die Beschäftigten ihre Gefährdung und die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu ermitteln hat. Zweck dieser GfB ist es eigentlich, den Gestaltungsspielraum des Arbeitsplatzes durch den Unternehmer zu vergrößern. Ziel der GfB ist es weiterhin, die Prävention am Arbeitsplatz zu verbessern und gezielt auf arbeitsplatzbedingte Gesundheitsgefahren hinzuweisen.

Die GfB ist auch das zentrale Instrument der BGW, die bei jeder Praxisbegehung entsprechend kontrolliert und hinterfragt wird. Eine Erstellung derselben ist auch unabhängig von der Praxis- oder Klinikgröße. Bereits ab dem ersten Mitarbeiter muss die GfB vom Praxisinhaber erarbeitet werden. Aufgrund ihrer Wichtigkeit findet die GfB deshalb inzwischen auch eine Verankerung in der Biostoffverordnung und der Gefahrstoffverordnung. In beiden wird ausdrücklich auf die GfB Bezug genommen.

Es gibt also zwei Möglichkeiten, die GfB in den Praxisalltag einzubinden. Zum einen kann ich sie als ein lästiges Übel betrachten. Da sie vorgeschrieben ist, muss sie in der Praxis auch erarbeitet werden und ca. alle drei Jahre überarbeitet werden. Sollten sich in der Praxis wesentliche Räumlichkeiten oder Arbeitsabläufe ändern, muss die Erneuerung der GfB bereits schon vorher erfolgen. Geht man mit dieser Betrachtungsweise an ihre Durchführung heran, bedeutet es zusätzliche Arbeit, Stress und eine ganz individuelle Frustration. Einen Nutzen hat die Praxis somit keinen!

Tierärztin untersucht Hund

Deshalb ist es schon aus arbeitspsychologischer Sicht überaus sinnvoll, die GfB als einen Baustein in unserer täglichen Arbeit zu betrachten, um das Qualitätsmanagement in unserer Praxis/Klinik zu optimieren. Und so betrachtet stellt sich die GfB schon in einem ganz anderen Licht dar. Denn wer möchte den Arbeitsablauf in seiner Praxis nicht optimieren, die Motivation der Mitarbeiter nicht vergrößern, den Arbeitsablauf nicht sicherer machen, die Kostenseite der Praxis nicht verringern und damit den erzielten Gewinn optimieren?

Nichts anderes ist nämlich die GfB. Sowohl im Rahmen der GvP als auch einer ISO-Zertifizierung wird nämlich nichts anderes gemacht als die Arbeitsabläufe jedes Arbeitsplatzes zu analysieren. Dabei sind Gefährdungen durch die Arbeitsabläufe und ihre Ergonomie zu beurteilen und zu bewerten. Gefährdungen müssen erkannt und durch entsprechende Maßnahmen abgestellt werden, ergonomische Abläufe sind zu verbessern und zu optimieren, d.h. Arbeitsabläufe werden einfacher und damit kostensparender und für die Mitarbeiter angenehmer. Deshalb ist die GfB nicht nur sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich. Sehen die Mitarbeiter, dass sich die Praxisführung / -Leitung um ihren Arbeitsplatz kümmert, erhöht sich ihre Leistungsbereitschaft und ihre Motivation deutlich.

Die GfB ist auf Grund ihrer gesetzlichen Vorschrift nicht nur durchzuführen, sondern auch zu dokumentieren. Im Schadensfalle können damit mögliche rechtliche Folgen oder Regressforderungen abgewendet werden. Auch das sollte der Praxisinhaber bei seinen Überlegungen berücksichtigen.

Für die Erstellung der GfB kann sich der Praxisinhaber Unterstützung bei seinem Arbeitsmediziner (Betriebsarzt) und bei seiner Fachkraft für Arbeitssicherheit holen. Dieses kann in Form von Vorlagen und einer allgemeinen Beratung erfolgen, die Durchführung wird stets in der Praxis durch den Praxisinhaber am besten unter Mitarbeit des Teams erfolgen müssen. Entsprechende Vorlagen und Beratungsmöglichkeiten können Ihnen von Seiten ihrer betreuenden Fachkräfte aber auch durch die BGW zur Verfügung gestellt werden.

Die BGW hat unter der Rubrik "BGW-Check" eine eigene Broschüre "Gefährdungsbeurteilung in der Tiermedizin" unter der hausinternen Bestellnummer TP-6GB herausgegeben. Sie ist durchaus zu empfehlen.

Der Praxisinhaber sollte sich aber auch Unterstützung in der eigenen Praxis holen. Unsere heutige Arbeitsauffassung geht immer mehr von dem Team-Begriff aus. Praxisinhaber sollten deshalb davon Abstand nehmen, alles selber machen zu wollen und "zu müssen". Vielmehr ist es sinnvoll, fachkundige und vor allem motivierte Mitarbeiter in diesen Arbeitsprozess mit einzubinden. Verbesserungsvorschläge der Mitarbeiter kommen immer aus einem praktischen Blickwinkel und haben deshalb häufig eine deutliche Kostenersparnis als Ergebnis. Werden Problemlösungen im Team erarbeitet, finden sie bei den Mitarbeitern eine größere Akzeptanz. Damit wird ihre Umsetzung auch deutlich erleichtert.

 

Die GfB wird in sieben Schritten durchgeführt

  1. Es werden in der Praxis alle Arbeitsbereiche im Einzelnen festgelegt und die jeweiligen Tätigkeiten analysiert. In der Großtierpraxis sind es zum Beispiel die Fahrstrecken, der Klauenpflegestand, die Schweinebucht oder der Laufstall in der Rinderhaltung, in der Kleintierpraxis sind es der Behandlungstisch, der Röntgenraum, die Zahnstation oder der OP, um nur einige zu nennen.
  2. Für jeden Arbeitsbereich bzw. für jede Tätigkeit sind die jeweiligen Gefährdungen zu ermitteln. So führt der Boden in der Schweinebucht oder im Rinderlaufstall nicht nur zu einer Gefährdung der Tiere selber, auch der Tierarzt ist bei seiner Arbeit einer erheblichen Rutsch– und Verletzungsgefahr ausgesetzt. Zur Ermittlung können auch Beschreibungen des eigenen Qualitätsmanagements, Betriebsanweisungen für neue Mitarbeiter und Gefahrstoffanweisungen bzw. deren Sicherheitsdatenblätter mitbenutzt werden.
  3. Die jeweiligen Gefährdungen sind zu gewichten. Hiernach kann man das Risiko in die Stufen gering, mittel und hoch einordnen. Im Röntgen ist die Gefährdung im Bereich der gerätenahen Streustrahlung als besonders groß einzustufen. Deshalb ist hier mit einer persönlichen Schutzausrüstung und einer entsprechenden Dosimetrie sowie weiteren Arbeitsanweisungen ein besonderes Gewicht auf den Schutz der Mitarbeiter zu legen. Bei konsequenter Anwendung der Maßnahmen wird die Risikostufe von hoch auf gering gesenkt. Eine hohe Risikostufe bedeutet, dass eine Krankheit oder ein Unfall wahrscheinlich ist, sie ist deshalb sofort abzustellen. Eine geringere Risikostufe bedeutet, dass kein Handlungsbedarf besteht, allenfalls sind die Arbeitsabläufe weiter zu beobachten.
  4. Es sind die entsprechenden Maßnahmen festzulegen, mit denen die ermittelten Gefahrenquellen entweder beseitigt werden, oder aber mittels technischer oder organisatorischer Maßnahmen die Gefährdung ganz beseitigt oder zu mindestens in der Risikostufe gesenkt wird.
  5. Die entsprechenden Maßnahmen sind durchzuführen. Außerdem ist ein Organisationsplan zu erstellen, wer und bis wann welche Maßnahmen durchführen muss.
  6. Der vorletzte Schritt beinhaltet dann die Kontrolle und Überprüfung der Maßnahmen sowie ihre Wirksamkeit. Hierbei kontrolliert man am Stichtag der Maßnahme, inwieweit sich eine Verbesserung eingestellt hat, bzw. welche weiteren Maßnahmen notwendig sind.
  7. Die GfB ist zu dokumentieren. Außerdem sollte sie Bestandteil der Mitarbeiterunterweisung sein, damit auf diese Weise ein ständiger Optimierungsprozess sichergestellt wird.
 

Wie bei einem guten Qualitätsmanagement ist auch die GfB ein ständiger Prozess, der immer wieder zu hinterfragen ist. Dieses hinterfragen sollte Anlass bezogen erfolgen. Ein solcher Anlass kann gegeben sein durch: Neue Arbeitsverfahren, die Beschaffung neuer Geräte, die Umgestaltung von Arbeitsplätzen, die Änderung des Arbeitsablaufes und/oder die Einführung neuer Produkte. Weitere wichtige Indikatoren zur Optimierung von Arbeitsplätzen und zur Durchführung der GfB sollten ein steigender Krankenstand, sich regelmäßig wiederholende Krankschreibungen, der Verdacht auf eine berufsbedingte Erkrankung und letzten Endes jeder Arbeitsunfall sein.

Weiterhin gibt es eine so genannte individuelle GfB. Hierunter versteht man die Situation, dass sich eine Mitarbeiterin schwanger meldet oder aber ein leistungsgeminderter Mitarbeiter in den Betrieb wieder erfolgreich eingegliedert werden soll. Hierbei ist dann eben "individuell" die Möglichkeit zu bewerten und die Voraussetzungen der Arbeitsplätze gegen diese Möglichkeiten abzuwägen.

Am Ende der GfB ergibt sich eine Aufstellung, welchen Gefährdungen die Mitarbeiter ausgesetzt sind. Aus der Gefährdungseinstufung ergibt sich dann die Notwendigkeit, in welchem Zeitraum die Beseitigung der Gefährdung erfolgen muss bzw. welcher Status an Schutzmaßnahmen für den Mitarbeiter erreicht werden muss.

Seit der Änderung des Arbeitsschutzgesetzes im Jahre 2013 fordert das Gesetz ausdrücklich, dass auf die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz ein besonderer Augenmerk zu legen ist. In § 4 Abs. 1 ist festgelegt, dass durch den Arbeitgeber die Arbeit so zu gestalten ist, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden wird. In den letzten Jahren hat sich auch das Augenmerk der Fachleute, der BGW aber auch des Berufsstandes mehr und mehr den psychischen Belastungen am Arbeitsplatz gewidmet. Ein für alle zufriedenstellendes Ergebnis kann allerdings noch nicht verzeichnet werden. In diesem Bereich bedarf es nach meiner Auffassung noch eines weiteren intensiven Zusammenarbeitens aller Gruppen, damit hier erkennbare Verbesserungen zu erkennen sind.

Weiterhin gibt es bei der BGW unter www.bgw-online.de/gefaehrdungsbeurteilung die Möglichkeit, sich Basisinformationen, Arbeitsblätter oder Online-Handlungshilfen herunterzuladen.

Aktuell wird von Seiten der BGW auch eine Online-Plattform zur direkten Erstellung der GfB erarbeitet. Propraxis ist in meiner Person in dieser Arbeitsgruppe als externer Fachmann mit eingebunden. Mein Bemühen diesbezüglich zielt insbesondere darauf ab, die Eingabe praxisnah und einfach, aber effektiv zu gestalten. Entsprechende Online-Gefährdungsbeurteilungen sind auf der Seite der BGW bereits für das Friseurhandwerk und die Kindertagesstätten erstellt. Das Ziel dieser Online-Plattform ist es, für den Beruf Tiermedizin sowohl eine Standardisierung der Gefährdungen zur Vereinfachung zu erstellen, auf der anderen Seite aber gleichzeitig auch die individuelle Erfassung von Problemen in der eigenen Praxis zu ermöglichen.

Falls Sie Fragen haben zu dem Thema, rufen Sie Ihren Arbeitsmediziner an. Er sollte Ihnen weiterhelfen! Ansonsten kontaktieren Sie mich unter h.fr.willimzik@propraxis.de. Gerne werde ich Ihre Fragen beantworten.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiterhin Erfüllung bei Ihrer Arbeit und viel Freude und Erfolg in ihrer Praxis. Denken Sie immer an den Schutz und das Wohlergehen Ihrer selbst und Ihrer Mitarbeiter.

 

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